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Erinnerungen an 30 Jahre am Kant von Jutta Schubert

Für mich war es erst mal so, dass ich gar nicht ans jetzige Kant-Gymnasium kommen sollte, sondern an ein anderes Gymnasium im Norden Leipzigs. Aber dort waren zu viele Bewerber auf zu wenige Stellen zur ersten Versammlung erschienen, kann auch sein, dass die Fächerkombinationen nicht stimmten, jedenfalls versammelten wir Übriggebliebenen uns erstmal im damaligen Schulamt neben der alten Blechbüchse. Hieß diese damals schon Horten oder noch Konsument-Kaufhaus? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls wurden wir von dort aus neu verteilt und ich kam an das heutige Immanuel-Kant-Gymnasium, welches damals noch keinen Namen trug. Für diesen entschieden wir uns ein paar Jahre später selbst. Immanuel hatte gegen meinen Favoriten John Lennon gesiegt.
Ich erinnere mich, dass wir zu Beginn noch nicht einmal 30 Lehrerinnen und Lehrer waren, mehrheitlich sehr jung. Ich gehörte mit meinen damals 34 Jahren zum altersmäßigen Mittelfeld. Unsere Schulleitung setzte sich aus Frau Frester und Herrn Schmerl zusammen. Erstere hielt alle Fäden mit großer Herzlichkeit und viel Engagement in ihren Händen. Ihr war gelebte Basisdemokratie wichtig. Etwas, das wir als Lehrerinnen und Lehrer, die Lernenden als Schülerinnen und Schüler und deren Eltern sehr ernst nehmen wollten. Informationswege waren kurz. Wir klärten viel während der Pausen in Gesprächen auf den Fluren oder im Killy Willy oder aber im Maitre. Wir waren voller Enthusiasmus, diese neue Schule nach unseren Vorstellungen aufzubauen. Uns rauchten deshalb nicht nur die Köpfe, sondern den Nikotinsüchtigen unter uns auch die Glimmstängel, die manchem schon vor der ersten Stunde schmeckten. Man sah und hörte uns oft in hitzigen Debatten, auch mit Schülerinnen und Schülern, denn man durfte damals noch in öffentlichen Einrichtungen rauchen, wenn man mindestens sechzehn Jahre alt war. So entstanden tolle Ideen, zum Beispiel die Idee eines Raucher-pilzes, um nicht schutzlos vor Regen seinem Laster frönen zu müssen. Durchgesetzt werden konnte diese Idee relativ leicht, denn Herr Schmerl, unser Planer, war leidenschaftlicher Raucher und auch Frau Frester fand sich ab und zu rauchend im Disput.
Ach so, Herr Schmerl. Er musste es schaffen, die Unterrichts-stunden ohne Computer, mit Hilfe winziger Magnetplättchen an einer riesigen Magnettafel zu planen. Besonders in Grippe-zeiten eine Arbeit, um die ihn niemand beneidete. Aber eins war damals schon so wie auch heute noch: Zu Beginn des Schuljahres war immer ein provisorischer Stundenplan im Einsatz. Und der dann offizielle Plan wechselte häufig.
Aber wir hatten auch andere Ideen als nur diesen Pilz. Etwa die Projektwoche zum Mittelalter, in der die Suppe Karls des Großen zusammen mit anderen Köstlichkeiten bei einem Festmahl an langer Tafel auf dem Schulhof Kochstraße geladenen Gästen serviert wurde. Die Physiker und Chemiker zeigten Experimente, bei denen es manchmal sehr laut krachte. Ich kann mich erinnern, in dieser Projektwoche den letzten Hexenprozess Leipzigs als Theaterstück mit Schülerinnen und Schülern aufgeführt zu haben. Wir waren in diesen Anfangsjahren unheimlich kulturell interessiert. Wir arbeiteten eng mit dem Haus Steinstraße zusammen, es gab das jährliche Kunstfest unter dem damaligen Kunstlehrer Herrn Müller, wir hatten eine Schulfahne mit dem damaligen von allen während eines pädagogischen Tages entworfenen Schullogo, das zwei Schüler auf einer Treppe zeigte, wobei Ersterer dem Zweiten half, die Treppenstufen zu erklimmen. Manchmal zogen wir diese Fahne am Fahnenmast auf, was nicht alle gut fanden, denn von Fahnenmasten hatten wir eigentlich genug. Aber dieser Mast war unser eigener und nicht „von oben“ verordnet.
In dieser Anfangszeit hatten wir auch eine Partnerschule in Uppsala in Schweden und auch die noch bestehende Schul-partnerschaft mit Radolfzell geht auf die Anfangsjahre unseres Gymnasiums zurück. Hier kann ich mich an eine Choraus-tausch erinnern, dessen Höhepunkt ein Konzert beider Chöre und Orchester in unserer Aula war. Wir hatten von Beginn der Existenz unserer Schule viele Musikinteressierte in unseren Schülerreihen. Aber auch unter Lehrerinnen und Lehrern waren Musikenthusiasten, allen voran unsere Musiklehrerinnen Frau Lehmann, Frau Frester und später dann Frau Kiebeler. Letztere schaffte es, die damals noch unbekannte Sängerin Nadine Maria Schmidt für eine Unterrichtsstunde in unsere Schule zu holen. Ganz am Anfang fanden auch Diskos in der Turnhalle statt, Herr Wassiljewski, ein Englisch- und Russischlehrer unserer Schule, spielte mit seiner Band „Wimmerschinken“, die viele aus besagtem Killy Willy kannten, auf.
Es gäbe noch sehr viel zu sagen und zu schreiben. Auch weniger schöne Sachen. Unsere Schule war anfangs sehr schmutzig, die Toiletten waren eine Zumutung, Mittag gegessen wurde auf engstem Raum im Keller. Wir hatten nie genug Geld für Unterrichtsmittel oder Zuschüsse zu Klassenfahrten, ganz zu schweigen von unseren letztlich genialen Projekt-wochen, die wir praktisch ohne Geld stemmten. Es soll erwähnt werden, dass es uns wie so viele andere Schulen heute beinahe nicht mehr gäbe, denn die Schülerzahlen sanken Ende der Neunziger und wir waren vom Mitwirkungs-entzug des Ministeriums betroffen. Lehrerinnen und Lehrer unserer Schule sowie in ganz Sachsen mussten in Zwangsteilzeit arbeiten, was erhebliche finanzielle Einbußen mit sich brachte. Aber wir haben es geschafft. Dank unseres Einsatzes, besonders aber des Engagements von Frau Frester, des Elternrates und des Schülerrates, stiegen unsere Anmeldezahlen wieder und der Mitwirkungsentzug wurde zurückgenommen. Ein Abschlussjahrgang dankte es ihr, indem sie an deren letztem Schultag mit der Schubkarre von zu Hause abgeholt und durchs Spalier der Schülerinnen und Schüler und uns Lehrkräften zur Schule gefahren wurde.
Jedenfalls waren wir über die Zurücknahme des Mitwirkungs-entzuges unbeschreiblich froh und ließen die Gläser klingen. Neben Frau Striegler, der guten Fee unseres Sekretariats, bekamen wir noch eine zweite Sekretärin, Frau Koch, die an Humor kaum zu übertreffen war. Unsere Schule wuchs, es kamen neue Lehrerinnen und Lehrer hinzu, wir bildeten uns weiter, studierten noch einmal, um Fächer wie Informatik, Ethik/Philosophie oder eine weitere Fremdsprache fach-kundig unterrichten zu können und zu dürfen. Für die fünften bis achten Klassen kamen nach und nach „Lernen lernen-Stunden“ hinzu. Exkursionen wurden besser finanziert, Wettbewerbe kreiert und von einigen Schülerinnen und Schü-jlern sogar landes- und deutschlandweit gewonnen.
Heute, im Jahr 2022, ist unsere Schule modernisiert, die Speiseräume laden zum Verweilen bei sehr schmackhaften Essen ein, der Unterricht läuft oft digitalisiert ab. Wir haben Corona einigermaßen gemeistert. Zum Glück wimmelt es von jungen Kolleginnen und Kollegen, die in eine nicht einfache Zeit hineingeworfen worden sind, so wie wir Lehrerinnen und Lehrer damals auch.
Ich denke an die dreißig vergangenen Jahre am Immanuel-Kant-Gymnasium und kann für mich sagen: Es war schön, anstrengend, aufregend und manchmal auch schwer. Aber wir waren ein gutes Team und ich denke, wir sind es auch heute.

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